Gericht

Gericht

Unter den germanischen und fränkischen Volksstämmen war es üblich, den Thing (manchmal auch „Ding“ geschrieben) als Versammlung aller erwachsenen männlichen Stammesangehörigen einer Siedlung einzuberufen, wenn wichtige Entscheidungen zu treffen waren. Auch Streitschlichtung, Rechtsprechung und Urteilsfindung gehörten zu den Aufgaben des Thing. 

Dingstuhl oder Dingbank war die Bezeichnung für die Gerichtsstätte, später auch für den lokalen Gerichtsbezirk. 

Stuhl oder Bank hatten, ebenso wie Sitz oder Thron, die Bedeutung „Ort des Herrschers“, „Stätte, an der die Obrigkeit das Sagen hat“. Auch heute noch finden sich diese Worte in Begriffen wie „Richterbank“, „Heiliger Stuhl“ und „Regierungssitz“. Die Region „Kaiserstuhl“ bei Freiburg in Baden heißt so, weil im dortigen Ort Sasbach seit dem Jahr 994 Könige und Kaiser Gerichtstage abhielten. 

Unter der Herrschaft von Kaiser Karl (dem Großen) wurde der Thing durch das Schöffengericht ersetzt. Die Bezeichnungen Dingstuhl bzw. Dingbank blieben. Diese Struktur blieb im Wesentlichen bis in die Neuzeit bestehen. Die Zahl der Schöffen konnte variieren. Den Vorsitz hatte anfangs der Gebietsfürst, später wurde ihm das lästig, und er delegierte den Vorsitz an einen seiner Verwalter (Vogt, Meier, Amtmann, Schultheiß).

In dieser von etwa 800 bis etwa 1800 bestehenden Struktur war die Rechtsprechung nicht unabhängig. Richter bzw. Schöffen wurden von der Obrigkeit ernannt. Im Konfliktfall waren sie an Weisungen ihres Fürsten gebunden. Sich dem zu widersetzen war für einen Schöffen (lebens)gefährlich.
Die Schöffen hatten nicht nur Rechtsprechungs-, sondern auch Verwaltungsaufgaben in der Ortsgemeinde (im Kirchspiel) und für den örtlichen Grundherrn. Jurisdiktion und Exekutive waren nicht getrennt.

GerichtsverhandlungRichter und Schöffen mussten lesen und schreiben können, waren also nur unter den besser situierten Einwohnern zu rekrutieren. Sie vermittelten bei Streit, dokumentierten Kauf- und Pachtverträge, Erbangelegenheiten, Schenkungen und Vormundschaften. Sie schlichteten Grenzstreitigkeiten bei Grundstücken und mussten anfallende Pfändungen und Zwangsversteigerungen durchführen.
Schöffengericht

Wenn wichtige Probleme auftauchten, hatten sie dies der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit mitzuteilen, damit diese entscheiden konnte, welche Maßnahmen zu treffen seien.
Die Berufung zur Schöffentätigkeit war nicht immer beliebt, denn als Schöffe konnte man sich in der Bevölkerung durch seine Entscheidungen auch Feinde machen.

Entsprechend der unterschiedlichen Gebietszugehörigkeit gab es für Beeck und Wegberg jeweils eigene Gerichtsorgane.  
Weitere Details siehe bei   →  Gemeindeverwaltung

Eine ausführliche Darstellung des Schöffenwesens findet man hier:
       https://de.wikipedia.org/wiki/Schöffe_(historisch)

Abläufe bei einem Strafgerichtsprozess im Jahr 1379 wegen angeblichen Diebstahls sind hier dargestellt:
    Severin Corsten, Arnold II. von Randerath als Gerichtsherr,  in:  
       Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1990 (Hg.: Kreis Heinsberg), S. 13-17

Der folgende Bericht liefert historische Details zum Beecker Gericht:

[Zitat]
Beeck hatte schon in sehr früher Zeit ein eigenes Gericht: es wird 1283 dem Adam von Undereich verpfändet. Gewöhnlich wurde es mit Dinckstoel oder Dinckbanck bezeichnet. Die hier zu Lande bestehende Gerichtsverfassung ging auf Karl dem Großen zurück; die von ihm erlassene Gerichtsordnung hat sich in ihren Hauptzügen noch lange Zeit erhalten. Nach dieser Ordnung war das Gericht mit 7 Schöffen zu besetzen. In ältester Zeit saß der Herr selbst oder der Gaugraf dem Schöffengericht vor, später der Schultheiß, Amtmann oder Drost und schließlich der Vogt. Der Vorsitzer gab kein Urteil ab; er fragte das Recht von den Schöffen. Der Vorsitzer sprach das Urteil aus, das sich auf Erlasse des Landesherrn und in Kriminalsachen auf die berühmte Carolina (die constitutio criminalis Carolina, auf dem Reichstag zu Regensburg 1532 zum Reichsgesetz erhoben) stützte. Fand das Schöffengericht den Angeklagten des Todes schuldig, so brach der jüngste Schöffe über dessen Haupt die Gerichtsrute (über jemand den Stab brechen). Der Landesherr mußte das Todesurteil bestätigen. Beeck hat sicher damals einen Galgen gehabt, wo er gestanden hat, ist unbekannt. Das Gericht tagte im Freien; in Beeck wurde Gericht auf dem Kirchhof an der Kirchtüre „auff der Kierkportzen“ abgehalten. Gerichtstag war regelmäßig alle 14 Tage an einem bestimmten Wochentage; durch lange Zeit hindurch war es der Mittwoch, damals Godestag genannt, für kurze Unterbrechung auch der Montag oder Donnerstag. Dem Gericht war ein ständiger Gerichtsschreiber, der im Falle der Behinderung den Vogt vertrat, und ein Gerichtsbote beigegeben. Die Schöffen hatten, wie bereits erwähnt, neben der Mitwirkung bei den eigentlichen Gerichtssitzungen noch bestimmte Funktionen im Rechtsleben auszuüben. Bei Verkäufen, Schenkungen, Erbschaftssachen, Verpfändung und ähnlichen Rechtsvorgängen mußten die Beteiligten vor den Schöffen erscheinen und ihre Erklärung abgeben. Die darüber ausgefertigten Urkunden wurden von den Schöffen unterschrieben und gesiegelt, wodurch sie Rechtskraft erlangten. In älterer Zeit benutzte man zum Siegeln in Ermanglung eines eigenen Schöffensiegels das Siegel der Schöffen von Wassenberg. Ein gut erhaltener Abdruck des Beecker Schöffensiegels findet sich noch im Staatsarchiv zu Düsseldorf in den Akten betr. den St. Clara Zehnt. Er trägt als Wappenbild den Jülicher Löwen und darunter 5 Wellenlinien des Wassers (Beeck). Die Legende lautet: S(igillum) d. Gerichts u. Schepen zu Beeck ao 1643. Die versiegelten Urkunden wurden im sogenannten Schöffenkump oder Schöffenkiste aufbewahrt. Dieser Schöffenkump war mit drei verschiedenen Schlössern versehen, deren Schlüssel drei Schöffen anvertraut wurden, sodaß also bei Anwesenheit dieser drei Schöffen nur die Kiste geöffnet werden konnte.

Quelle:  
Alfer + Peters: Geschichte der Gemeinde Beeck, maschinenschriftliches Manuskript, Beeck 1933

Die genannte Schöffenkiste steht heute im Beecker Flachsmuseum. 

Schöffentruhe

Neben dem zivilen Gericht gab es in Beeck ein kirchliches Gericht („Send“) mit eigenen Schöffen. Die Send-Schöffen wurden vom Pfarrer, vom Dekanat oder vom Bischof eingesetzt. Der Pfarrer führte im Send den Vorsitz. Hier wurden Zehntangelegenheiten, Ketzerei, Zauberei, Moral, Ehebruch und Verstöße gegen die Kirchenordnung verhandelt. Das Send-Gericht konnte materielle Strafen sowie Körper- und Gefängnisstrafen verhängen.
    (UD)

Struktur der Rechtsprechung

 

 

"Justitia" von SpitzwegIn der Zeit der französischen Regierung des Rheinlandes wurde das Rechtssystem umgekrempelt. Die alten Untergerichte wurden abgesetzt, Friedensgerichte wurden als untere Gerichtsinstanz installiert. Das schränkte auch den bis dahin maßgeblichen Einfluss des Adels und der Kirche auf die Justiz ein. Die Friedensgerichte waren mit juristischen Laien besetzt, die aber auf örtlicher Ebene anerkannte Respektspersonen waren. Damit gab es zum ersten Mal in Deutschland formal unabhängige Gerichte. Ihre Aufgaben waren
– die Regelung einfacher zivilrechtlicher Streitigkeiten,
– Entscheidungen in Vormundschafts- und Erbangelegenheiten,
– Urteilsfindung bei Verstößen mit geringfügigem Strafmaß und
– Güteverhandlung vor Prozessführung bei höherer Gerichtsinstanz.
Besondere Friedensgerichtsgebäude gab es nicht. Die Verhandlungen fanden meist im Privathaus des Friedensrichters statt.

1821 wurde Wegberg unter der preußischen Regierung zum Sitz eines amtlichen Gerichts. Dieses hieß weiterhin Friedensgericht und war auch für Beeck zuständig. Es war im südlichen Teil des früheren Kreuzherren-Klostergebäudes untergebracht und damit wieder sehr nahe am Einflussbereich der Kirche.

Höhere Gerichte mit Zuständigkeit für Kapitalverbrechen (Raub, Mord, Totschlag etc.) waren in zentralen Orten angesiedelt. Das für Beeck zuständige Gericht war in Aachen. Es trug den Namen „Assisenhof„, war ein Geschworenengericht und existierte von napoleonischen Zeiten bis in die 1870er Jahre.
Tatsächlich wurden in der Gemeinde Beeck Verbrechen verübt, mit denen sich dieses Schwurgericht befassen musste. Aus einem Gerichtsprotokoll des Jahres 1868 geht hervor, dass die hiesige Gegend als Bereich hoher Kriminalität galt:

Mord in Holtum

Das vollständige Verhandlungsprotokoll (30 Seiten!) ist hier nachzulesen. 

1879 wurden die Friedensgerichte aufgrund des für das Deutsche Reich beschlossenen Gerichtsverfassungsgesetzes in Amtsgerichte umgewandelt und neu organisiert. Das Amtsgericht Wegberg kam im angemieteten Haus Beecker Straße 27 unter.
Wegberg, altes Amtsgericht

Im Erdgeschoss war die Gerichtsverwaltung (Kanzlei), in der ersten Etage fanden die Gerichtsverhandlungen statt. Im Anbau gab es sechs Gefängniszellen.

Die Amtsgerichte in Wegberg und Erkelenz waren dem Landgericht Mönchengladbach und dem Oberlandesgericht Düsseldorf zugeordnet.

Wegberg, AmtsgerichtZu Anfang des 20. Jh. (nach einer anderen Quelle 1920) wechselte das Amtsgericht in die Villa Köhler an der Bahnhofstraße, zwischen dem Wegberger Friedhof und der Eisenbahnstrecke.

Wegberg Amtsgericht 1955

In diesem Gebäude blieb das Amtsgericht bis zu seiner Auflösung 1974.

Seitdem ist das Amtsgericht in Erkelenz auch für Wegberg und Beeck zuständig. 

 

    (UD)    unter Bezug auf
>  Artikel „Amtsgericht befand sich früher nebenan“ aus:  
Rheinische Post – Erkelenzer Zeitung vom 15.4.2017   
>  www.npr-meinweg.eu/download/1/Meinweg1_D.pdf   (gesehen am 5.11.2019) 
>   www.ag-erkelenz.nrw.de/behoerde/gerichtsvorstellung/Geschichte_des_Amtsgerichts/index.php   (gesehen am 5.11.2019)

 

weitere Details zum Rechtswesen:   →  Franzosenzeit  und  →  Todesstrafe

 


 

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