Grundherrschaft

Grundherrschaft

Im 5. Jahrhundert verließen die Römer Germanien, weil sie das Gebiet trotz Grenzbefestigungen (z.B. Limes) gegen anstürmende germanische Stammeskrieger aus dem Norden und Osten militärisch nicht mehr halten konnten oder wollten. Römische Einrichtungen wurden zerstört oder verfielen. Danach herrschten germanische, fränkische und sächsische Volksstämme im hiesigen Gebiet. Die Besiedelungsdichte war aber geringer als zur Römerzeit. Jeder Siedler nahm Land in Bearbeitung, wo er konnte, um seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Sippe zu sichern. Freies Land und von den römischen Bauern verlassene Siedlungen gab es genug. Oft musste neues Ackerland erst mit großem körperlichem Einsatz gerodet und urbar gemacht werden.

Wie zuvor schon bei den Römern hatten Sklaven auch unter den neuen Herren schwerste Arbeiten zu erledigen. Sklaven waren Menschen ohne Rechte, die vollständig von Gnade und Willkür ihres Besitzers abhängig waren. Sie wurden in Gemeinschaftsunterkünften (also: kaserniert) gehalten. Auf Flucht oder Arbeitsverweigerung stand die Todesstrafe. Sklaven konnten wie Kühe oder Schafe als Ware ge- und verkauft werden.

Sklavenmarkt

Das Sklavensystem bestand auch noch im Mittelalter. Die Sklaverei blieb für lange Zeit fundamental für die Landwirtschaft sowohl in großen als auch in kleinen Betrieben. Noch um das Jahr 800 galt als Zeichen bitterer Armut, wenn ein freier Mann keinen Sklaven hatte. Anders als in späteren Zeiten, in denen der Sklavenhandel Menschen aus Afrika „importierte“, waren im Mittelalter die Sklaven (auch Unfreie genannt) meist Europäer. In die Sklaverei gerieten in Kriegszügen gefangen genommene Menschen (vielfach aus Osteuropa), aber auch in totale Armut gefallene einheimische Menschen, die nur überleben konnten, wenn sie sich komplett verkauften. Im Früh- und Hochmittelalter existierten zahlreiche überregionale Sklaven-Märkte, beispielsweise in Prag oder in Verdun. Etwas besser als die in der Landwirtschaft eingesetzten Sklaven hatten es die Haushalts-Sklaven. Ihre Arbeit war nicht so schwer, aber die Unfreiheit und Fremdbestimmung bis hin zu sexueller Ausbeutung war ebenso belastend.

Vor allem waren es kirchliche Institutionen, die lange Zeit vom Einsatz von Sklaven profitierten. Gemäß den Beschlüssen des 16. Konzils von Toledo im Jahr 693 sollten Pfarrkirchen, die über weniger als 10 Sklaven verfügten, mit anderen Pfarreien zusammengelegt werden. Noch in der karolingischen Gesetzgebung waren für jede Pfarrkirche mindestens vier Sklaven zur Bearbeitung der Kirchengüter vorgesehen. Lediglich die Versklavung von Christen wurde von der Kirche verurteilt. Muslime oder andere „Ungläubige“ durften ohne Skrupel als Sklaven gehalten werden.

neue Sklavin

Andersherum wurden im muslimischen Kulturkreis die dort als Ungläubige angesehenen Afrikaner und Europäer als Sklaven gehalten und gehandelt. 

Wo auch immer sie stattfand: Sklavenhaltung war immer durch Macht und Reichtum eines Grundbesitzers ermöglicht und bedingt.

Mehr über Sklaverei in späterer Zeit im Kapitel → Sklaverei.


niederrheinischer Limes

Römer 3.Jh. Limes

Im Laufe der Zeit kamen Stammes-Fürsten auf die Idee, dass ihnen alles Land ihres Herrschaftsgebietes gehöre und die realen Besitzer, Bewohner und Bearbeiter des Landes nur freundlich geduldet waren, sofern sie dem Fürsten einen Teil ihres Ertrages abgaben. Basis war natürlich die reale Macht des Fürsten, mit Waffengewalt und gedungenen Helfern (Söldnern/Rittern) seine Auffassung und seinen Willen durchzusetzen. Das Vorgehen hat starke Ähnlichkeit mit Schutzgeld-Erpressung durch die Mafia heutzutage. 

Karl der GroßeIm 8. Jahrhundert war die Macht der Gebietsfürsten so abgesichert und differenziert, dass ein mitteleuropäischer Oberfürst seinen Thron besteigen konnte: Kaiser Karl (der Große). 

 

Formaljuristisch beanspruchte der Kaiser alles Land seines Einflussbereichs als sein von Gott gegebenes Eigentum, das er nach Gutdünken an seine Untertanen (das waren in seinem Herrschaftsdenken die ihm Gefolgschaft zugesichert habenden Gebietsfürsten) zur Nutznießung vergeben konnte. 

Damit delegierte ein König oder Kaiser auch lästige Verwaltungsaufgaben an die Gefolgsleute. Zu diesen Aufgaben gehörten die Rechtsprechung, das Eintreiben von Tribut und Zehnt, das Rekrutieren von Söldnern für Kriegszüge und das Ausfertigen von Berichten und Verträgen. Wer solche Position übernahm, musste lesen und schreiben können und wurde Graf genannt. Das Wort entstammt dem Griechischen und bedeutet „Schreiber“. Es findet sich in Begriffen wie Geografie, Graphologie, Orthographie, Graphit u.a.
Später entlastete sich auch der Graf von der Verwaltungsarbeit und gab sie an Untergebene ab. Je nach ihrer Wichtigkeit, ihrer Treue und ihrer Finanzkraft konnten Grafen vom König/Kaiser „befördert“ werden: manche wurden zum Markgraf ernannt. Markgrafen hatten die besondere Aufgabe, die Grenzen des Reiches nach außen zu schützen. Brachten Sie schlagkräftige Truppen und Bewaffnung zur Unterstützung des Königs/Kaisers ein, konnten sie zum Herzog ernannt werden. In diesem Begriff ist der Wortbestandteil „Heer“ erkennbar.

Karte Mitteleuropa um 800

Letztlich war der Kaiser des „Römischen Reiches Deutscher Nation“ der einzige Grundeigentümer, der oberste Grundherr, der seinen Fürsten gegen deren Treueversprechen und eine Tributzahlung Landesteile zur Nutzung überließ. Das nannte man Lehen
Der vom Lehensnehmer (Grafen) bzw. seinem Verwalter (Meier/Vogt/Amtmann) genutzte Grund wurde Salland genannt. Der zentrale Wirtschaftshof war der örtliche Salhof, auch Fronhof genannt. Der Fronhof war oft Keimzelle einer Siedlung und Kern eines entstehenden Ortes.

Im Regelfall konnte und wollte der Lehensnehmer die ihm zugesprochenen Ländereien nicht selber bewirtschaften. Er wusste: nur durch Arbeit anderer kann man reich werden. Also vergab er Teile seines Lehens als Unterlehen an ihm ergebene ärmere Adlige. So entstanden weitere Fronhöfe. Freie Bauern gab es nur als Ausnahmefall.
Ritter und Graf

Durch Überlassung von Unterherrschaften (Landgütern) an Kleinadlige (Ritter) gegen Treueschwur und jederzeitige Waffendienste sicherten sich die Fürsten eine militärische Hausmacht. 

Kompliziert wurden die gesellschaftlichen Umstände dadurch, dass Lehen und Herrschaften verkauft, verpfändet, verschenkt und vererbt werden konnten. Solche Geschäftsbeziehungen gab es nicht nur zwischen Adligen, sondern auch zwischen Adligen und der Kirche bzw. einzelnen Kirchenfürsten. So konnten Herrschaftsgebiete (damals auch „Herrlichkeiten“ genannt) im Bereich der Grafschaft Kleve einem Adligen aus der Grafschaft Jülich gehören oder umgekehrt. Die meisten Gutshöfe im Bereich Erkelenz/Wegberg/Beeck gehörten dem kirchlichen Marienstift in Aachen und waren diesem abgabepflichtig, obwohl das Gebiet teils zum Herzogtum Jülich, teils zum Herzogtum Geldern und teils zur Reichsgrafschaft Wickrath gehörte. Die Strukturen der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Macht waren nicht immer deckungsgleich. Intrigen, Scharmützel, politische Eheschließungen und Bestechung waren Mittel zur Durchsetzung individueller Herrschafts-Interessen.

Der Lehensnehmer wollte nicht selber roden oder ackern. Er ließ das Land bewirtschaften, indem er Agrarflächen-Teilstücke an abhängige Bauern (Laten oder Halfen oder Hüfner) vergab. Als Gegenleistung hatten diese Bauern regelmäßig Pflichtabgaben (Zehnt, Kurmede, Soikhafer, Frondienste) zu leisten. So  verschaffte sich der Herr wiederkehrende Einnahmen, von denen er gut lebte und einen Teil an seinen Oberfürsten als Tribut abgeben konnte. Die Halfen (auch Halfwinner genannt) hießen so, weil sie die Hälfte ihres Ertrages an den Grundherrn abliefern mussten.
Um die vielen bäuerlichen Arbeiten erledigen zu können, beschäftigte ein Latenbauer neben seinen Familienangehörigen auch Knechte, Mägde und bei Bedarf Tagelöhner. Auf einem Bauernhof lebten damals typischerweise 10 bis 15 Personen (Kinder nicht mitgerechnet).
Hufen

Die dem Laten überlassene Landfläche nannte man Hufe. Ein Ausschnitt aus der Flurkarte von 1826 zeigt einige Hufen.
Eine Hufe war meist zwischen 20 und 60 Morgen groß und zweigte als langgestrecktes Grundstück von einem Weg ab. Oft lag die Hufe abseits des Dorfes und der Wohnbehausung, so dass der Hüfner „auswärts“ arbeiten musste. 

Verstarb der Hüfner, so war die Hufe zurückzugeben. Der Haupterbe konnte aber binnen 30 Tagen nach Ableben des Hüfners die Weitergabe der Hufe an ihn beantragen. Wenn der Lat-Herr das genehmigte, musste der Erbe das wertvollste Stück Vieh (z.B. eine Kuh) an den Lat-Herrn abgeben. Das nannte man „Kurmede“. Sobald das vollzogen war, durfte der Erbe ein eigenes Hüfnerleben beginnen.

Eine ausführliche Darstellung zur Grundherrschaft findet man bei
      H.J. Sprünken, Das mittelalterliche Schöffenkollegium in Geilenkirchen,  in:
        Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1991 (Hg.: Kreis Heinsberg), S. 43-57

Details siehe auch unterSteuern und Abgaben.

Landidyll am HerrensitzAuf diese Weise entstanden Adelssitze („Herrensitze“) mit angegliederten Dörfern  („Villikationen“). Am Herrensitz gab es  einen Fronhof. Ihm waren alle Bauern des Dorfes und der Umgebung abgabepflichtig und mussten im Herbst den Zehnt abliefern. Bei Widerspenstigkeit erzwangen Ritter die Herausgabe. 

Eine Besonderheit war die Allmende, ein altgermanisches Relikt. Dieser Gemeinbesitz bestand aus Wiesen-, Heide- und Waldland. Er gehörte zwar formal auch dem Landesherrn (König/Kaiser), die Individual-Eigentumsrechte waren jedoch nur schwach wirksam:
Der Grundherr durfte alles nutzen:
– Nutzholz (Stammholz, Bauholz) für den eigenen Bedarf
– Totholz für Feuerung
– Waldweide z.B. für SchweineWaldweide
– Jagd
Die Laten durften nur Totholz und gegen Zinszahlung die Waldweide nutzen.
Die übrigen Einwohner durften nur Totholz und Weidegelegenheit auf Grasland und Heide nutzen.

 

Um 1700 bewirtschafteten 90% aller Haushalte Agrarland. Die hiesige Wirtschaft war kleinbäuerlich geprägt: die meisten Bauern hatten nur kleine Parzellen. Reichtümer konnte ein solcher Kleinbauer kaum erwerben.

 

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