Bevölkerung

Bevölkerung von 800 bis 1900

Die mittelalterliche Gesellschaft in Europa war vom Feudalismus bestimmt und gliederte sich starr in Adel, Klerus und Unfreie.

Im 16. Jahrhundert waren neun Zehntel der deutschen und vier Fünftel der europäischen Bevölkerung abhängige Bauern. Sie waren nicht Eigentümer ihrer Höfe und ihres Landes. Sie hatten nur ein widerrufliches, nicht vererbliches Nutzungsrecht, das ihnen ein Grundherr gewährte.

Als Gegenleistung für das Nutzungsrecht an einer Ackerparzelle schuldeten die Bauern Naturalabgaben und Fronen. Naturalabgaben waren vertraglich festgelegte Teile des durch eigene Arbeit erzielten landwirtschaftlichen Ertrages, die beim Grundherrn abzuliefern waren, meist 10%. Dieser Zehnt war unabhängig von Witterungseinflüssen auch in Jahren von Missernten abzuliefern.
Fronen waren verpflichtende Arbeitsleistungen für den Grundherrn ohne Bezahlung. Fronen konnten bäuerliche Arbeiten wie Roden, Pflügen, Eggen, Säen, Mähen und Dreschen auf den Ländereien des Grundherrn sein, aber auch bauliche Schwerarbeit wie das Ausheben von Gräben sowie Bau- und Kriegsfuhren einschließlich der Gestellung von Zugtieren und Fuhrwerken.

Fronarbeit 1310

Die Kinder der abhängigen Bauern mussten auf dem Gut des Grundherrn Gesindezwangsdienste leisten. Viele Bauern waren leibeigen und unterlagen der Schollenpflicht, hatten also kein Wegzugsrecht.

Zum Zehnt an den Grundherrn kam oft noch der ursprüngliche Kirchenzehnt hinzu, der dem Unterhalt des Pfarrers und der Kirche dienen sollte. Mitunter war im Laufe der Jahrhunderte der Kirchenzehnt an einen Grundherrn veräußert oder verpfändet worden und dort dann zusätzlich zum normalen Zehnt abzuliefern. Auch der umgekehrte Fall kam vor.
Es gab den großen Zehnt („jede zehnte Garbe Getreide abgeben“) und den Kleinen Zehnt („jedes zwanzigste Teil abgeben“), dazu den „Blutzehnt“ oder Viehzehnt für Schlachttiere.

Fronen und Naturalabgaben waren bei der betroffenen Bevölkerung verhasst. Wegen ihrer rechtlichen Unbestimmtheit und der damit verbundenen Gefahr des Ausweitens waren sie ein Hindernis in der Entwicklung der Landwirtschaft. 
geringfügig gekürzt aus:   https://de.wikipedia.org/wiki/Bauernbefreiung  (am 3.3.2017)

Weitere Details im Kapitel → Grundherrschaft

StändepyramideVerbunden mit der Eigenschaft des Leibeigenen bzw. Hörigen war die totale Abhängigkeit vom Grundherrn. Sie beschränkte sich nicht auf die Abgabe der eigenen Ernteerträge, sondern beinhaltete auch eine Residenzpflicht. Der Aufenthaltsort war nicht freizügig wählbar. Ein „legaler“ Wohnsitzwechsel war nur mit Erlaubnis des Grundherrn möglich (also eigentlich nie).
   (UD)

Der unfreie Bauer war verpflichtet, bei seinem gepachteten Grund zu wohnen, er hatte, zumindest in der Theorie, keine Möglichkeit, sich in einem anderen Gebiet niederzulassen (zum Beispiel, um einem anderen Grundherrn Untertan zu sein, oder gar frei), und war ohne Widerspruchsrecht den Spann- und Frondiensten des Herrn ausgeliefert (Schollenzwang, Schollengebundenheit).
Die Schollenbindung verpflichtete aber auch den Grundherrn: dieser konnte den Grund nur mitsamt den darauf angesiedelten Bauern an einen anderen Grundherrn verkaufen; ein Verkauf nur der Bauern oder nur des Landes war unzulässig. In der Praxis wurde die Schollengebundenheit jedoch je nach ökonomischen Gegebenheiten mehr oder minder streng ausgelegt – so war es durchaus üblich, Leibeigene von anderen Herrschern zu kaufen oder gar zu rauben, während auf der anderen Seite die Nachkommen ansässiger Bauern durch Mangel an Arbeitsplätzen manchmal zur Auswanderung gezwungen waren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Scholle_(Grund)   (am 3.3.2017)

Ackerer am Pflug, 18.Jh.

 

Einen entscheidenden Anstoß zur Bauernbefreiung gab die Französische Revolution, in deren Folge die feudalen Abhängigkeiten aufgehoben wurden.

In Frankreich hatte die Französische Nationalversammlung bereits im August 1789 alle Fronen, Zehnten und sonstigen Feudalrechte, insoweit diese keine andere rechtliche Grundlage als gewaltsame Einführung hatten oder sonst mit dem Gemeinwohl unverträglich waren, ohne Entschädigung aufgehoben.

In Preußen gab es in Bezug auf die Privatbauern erst 1807 Reformen. Diese Stein- und Hardenbergschen Reformen waren unmittelbare Folge der Napoleonischen Kriege und der militärischen Niederlage Preußens gegen die französische Revolutionsarmee.

  • Am 9. Oktober 1807 wurde durch Edikt die Erbuntertänigkeit für Bauern aufgehoben.
  • Das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 sollte den Bauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen übertragen. Sie mussten sich von bisherigen Abgaben und Frondiensten durch eine Zahlung an die Gutsherrn und die königlichen Domainen-Ämter freikaufen. Dies geschah über Jahrzehnte durch neu eingerichtete General-Kommissionen zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, die in Zusammenarbeit mit den Regierungen die Eigentumsverleihung (Ablösung, Austhuung) vornahm (abgeschlossen um 1855).
  • Die Deklaration von 1816 zum Regulierungsedikt regelte die Entschädigungen für die Gutsbesitzer.
    Die Reformen von 1807 bis 1816 betrafen nur diejenigen Bauern, die in einem gutsherrlichen Verhältnis standen und besonders hohe Dienste zu leisten hatten. Nicht betroffen waren zunächst die mit einem besseren Besitzrecht ausgestatteten grundherrlichen Bauern. Außerdem wurde der Kreis der Bauern, die eine vollständige Aufhebung des Abhängigkeitsverhältnisses erreichen konnten, erheblich verkleinert. Durch hohe Landabtretungen wurden die Bauern zusätzlich belastet. Diese Reformen galten zudem nur für das Preußen im Gebietsstand von 1807 nach dem Frieden von Tilsit.
  • 1850 Ablösung aller Servituten (Dienstbarkeiten) auf Grundstücken ohne Entschädigung der Grundherren. Ablösung, Austhuung, Regulierung des Grundbesitzes im Wesentlichen abgeschlossen für erbliche Pächter, Gärtner usw. (Ablösungs-Gesetz vom 2. März 1850). 
    Die Amortisationszahlungen dauerten oft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und wurden durch neu gegründete Rentenbanken vorfinanziert.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Bauernbefreiung   (am 3.3.2017)

Somit waren bis 1850 zwar Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft sowie Zehnt und weitere Abgaben und Dienstleistungen abgeschafft; andererseits wurden den Grundherren hohe Entschädigungszahlungen zugesprochen. Da es in der Regel keine Stützungskredite von staatlicher Seite für die Bauern gab, blieben viele Höfe noch lange Zeit ihrem Grundherrn verpflichtet, waren über eine lange Zeit durch hohe Schulden belastet oder mussten aufgegeben und notverkauft werden. 

In Beeck war nach einer Erhebung von 1818 der landwirtschaftliche Grundbesitz überwiegend klein und deshalb wenig rentabel:
Es gab
785 Grundstückseigentümer mit weniger als 25 Morgen;
   14 Grundstückseigentümer mit 25 bis 50 Morgen;
      1 Grundstückseigentümer mit 50 bis 100 Morgen;
      1 Grundstückseigentümer mit 100 bis 200 Morgen;
wobei damals 1 Morgen = 31,36 ar = 3136 qm bedeutete.
[heute ist  1 Morgen = 25 ar = 2500 qm = 0,25 Hektar]
Gutsbesitzer hatten in der damaligen Zeit zumeist Grundbesitz zwischen 100 und 1000 Morgen, den sie meist von Pächtern in Zeitpacht bewirtschaften ließen.
Quelle:  Aus der Geschichte des Erkelenzer Landes [Schriftenreihe des Heimatvereins der Erkelenzer Lande Nr. 9], S. 83-84 [Autor: Paul Blaesen], Erkelenz 1989


Auch das Klima spielte eine Rolle bei der Bevölkerungsentwicklung.

Über viele Jahrhunderte waren in Europa die Ernten mager und Lebensmittel knapp. Beispielsweise verhungerten zwischen 1315 und 1317 fünf Millionen Menschen. Die Bevölkerung nahm das als schicksalhaft hin. Man konnte sich gar nicht vorstellen, dass sich die materiellen Lebensbedingungen durch eigenes und gemeinschaftliches Handeln verbessern ließen. Adel und Kirche lebten in ihrer eigenen („gottgegebenen“) Wohlstandsblase. Unabänderbares Schicksal waren das Wetter und daraus resultierende schlechte Ernten, ebenso Krankheitsepidemien oder Schädlingsplagen, wenn z.B. Ratten die Wintervorräte auffraßen.

Im 16. und 17. Jahrhundert gab es eine längere Periode kalter Jahre, die als kleine Eiszeit bezeichnet wird. Bei Malern aus jener Zeit (z. B. Pieter Brueghel) finden sich auffallend viele Bilder mit Wintermotiven. 

Eisvergnügen auf dem Kanal
Im 19. Jahrhundert gab es mehrfach Missernten durch schlechte Wetterbedingungen. Die Folge war jedesmal eine Lebensmittel-Preisinflation und Hungersnot.
Im April 1815 ereignete sich auf der indonesischen Insel Sumbawa der größte Vulkanausbruch, der jemals von Menschen dokumentiert wurde. Der 4300 Meter hohe Vulkan Tambura brach explosionsartig aus und schleuderte 150 km³ Gesteinsmasse in die Atmosphäre. Anschließend war er nur noch 2800 Meter hoch. Ein Staubschleier verteilte sich in der Stratosphäre, der durch die Rückstreuung des Sonnenlichts einen globalen Temperatursturz um 3 Grad im Folgejahr verursachte.

Hungersnot und Teuerung 1816

Dadurch verlief das Jahr 1816 insbesondere in weiten Teilen Nordamerikas und Europas außergewöhnlich kalt und verregnet; es ist als Jahr ohne Sommer in die Geschichtsbücher eingegangen. Im Juli gab es Schneefall. Die mageren Ernten verrotteten durch die Nässe, das Vieh verendete durch Futtermangel. Auch die folgenden Jahre waren nicht viel besser. Die Getreidepreise kletterten in schwindelerregende Höhen. Mehl wurde mit Sägemehl und anderen kaum genießbaren Zutaten gestreckt und zu „Hungerbroten“ verbacken. Durch die Mangelernährung war das Immunsystem der Menschen angegriffen. Krankheiten wie Cholera grassierten. General Carl von Clausewitz, der im Frühling 1817 durch das Rheinland ritt, schrieb: „Ich sah stark geschwächtes Volk, kaum mehr menschlich, das auf der Suche nach halb verfaulten Kartoffeln über die Äcker lief.“ 
Ausführliche Informationen über den Vulkanausbruch und die Klimafolgen:
       https://boris.unibe.ch/83607/2/tambora_d_webA4.pdf

Das Unglück traf die Menschen aus dem Nichts. Eine Verbindung zu dem fernen Vulkan sahen sie nicht. Manche fingen sogar an, die Blitzableiter zu demolieren, denen sie die Schuld am schlechten Wetter gaben.

globale Temperaturen
Ab 1844 grassierte die Kartoffelfäule in Europa. Sie war aus Amerika nach Europa eingeschleppt worden und vernichtete ganze Ernten.
1846 gab es einen extrem trockenen Sommer, der eine völlige Missernte und als Folge eine drückende, für die ärmere Bevölkerung mit bitterster Not verknüpfte Teuerung aller Lebensmittel bewirkte.

In diesen Zeiten übergroßer wirtschaftlicher Schwierigkeit sahen sich viele Menschen zur Auswanderung gezwungen, weil sie hierzulande kein Auskommen mehr fanden und keine Familie gründen konnten. Viele waren auch unzufrieden wegen des Scheiterns der Demokratiebewegung 1848 in Deutschland und der dann folgenden Bespitzelung, Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender. Der größte Teil der Migranten war jung und männlich. Die Auswanderer wollten ins „gelobte Land“ Amerika – entweder nach Nordamerika (USA) oder nach Südamerika (z.B. Argentinien). Sie reisten per Schiff. Die bedeutendsten Auswanderungshäfen waren Antwerpen, Rotterdam, Bremerhaven und Hamburg. 
Zwischen 1800 und 1900 emigrierten rund 5 Millionen Deutsche nach Nordamerika, darunter auch etliche Beecker und Wegberger Einwohner.
In Amerika bauten sich viele der Auswanderer durch harte Arbeit eine dauerhafte Existenz auf. Die indianischen Ureinwohner verdrängten sie mit der Macht ihrer Gewehrkugeln, gegen die Pfeil und Bogen nichts ausrichten konnten. Um das Jahr 1500 lebten geschätzt etwa 7 Millionen Indianer in USA und Kanada. Bis 1900 war ihre Zahl durch von den Europäern eingeschleppte Krankheiten, die gewaltsame kriegerische Verdrängung und die Vernichtung der Lebensgrundlagen auf rund 700000 reduziert worden. Das war eine Dezimierung um 90%.
   (UD)  unter Verwendung von:
– https://de.wikisource.org/wiki/Teuerungsdenkmünze_von_1846/47
– Artikel „Extremwetter ließ Deutsche auswandern“ in: Rheinische Post, 22.11.2017
– www.wetter.de/cms/klimafaktor-vulkanausbruch-so-koennen-vulkane-das-klima-beeinflussen-2207716.html
– https://de.wikipedia.org/wiki/Indianerkriege

Zum Thema Auswanderung siehe auch → Eisenbahn .

Die Missstände, Hungersnöte und Auswanderungswellen hatten auch auf die jüngere weibliche Bevölkerung Auswirkungen. Ihre Handlungsfreiheit war damals sehr gering. Unverheiratet auszuwandern war Frauen kaum möglich. Die hohe Kinderzahl der Familien bei wirtschaftlicher Knappheit und Not führte dazu, dass ledige junge Frauen gerne in ein Kloster „abgeschoben“ wurden. Dort waren sie versorgt und mussten nicht weiter in den armen Familien „durchgefüttert“ werden.
Im ganzen 19. Jh. ab 1815 erlebten Nonnenklöster einen großen Zulauf. Viele Klöster bzw. Kloster-Dependancen wurden neu gegründet. Die Klosterfrauen wurden für soziale Aufgaben (Kinderbetreuung, Krankenversorgung, Altenhilfe) sowie für kirchliche Hilfsdienste eingesetzt. Eine Entlohnung erhielten sie nicht, nur Vollversorgung innerhalb des klösterlichen Lebens, wobei die Nonnen viele Lebensmittel in den Klostergärten selber anbauten und ernteten.


Exkurs in die heutige Zeit:

Klimaänderung, Kriege und Verarmung führen auch in unseren Zeiten zu Auswanderungswellen. Der Klimawandel wird in Europa nicht nur an der steigenden Jahres-Durchschnittstemperatur deutlich (siehe Grafik oberhalb), auch die winterlichen Temperaturen haben denselben Trend: 

Wintertemperaturen 1959-2022

Im 15. bis 19. Jahrhundert waren Kälte und Nässe Ursachen für schlechte Ernten und Hungersnöte. Im 21. Jahrhundert sind es zunehmend Hitze, Trockenheit und Unwetterereignisse, die Not verursachen. In Asien und Afrika wirkt sich das, verstärkt durch kriegerische Handlungen, so katastrophal aus, dass Migration unvermeidlich wird. Die Menschen nehmen stärkste Entbehrungen und Gefahren auf sich in der Hoffnung, irgendwo bessere Lebensumstände und Existenzsicherung zu finden.


 

 

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