Preußenzeit

Die „preußische Zeit“ im Rheinland

Nach den militärischen Niederlagen des napoleonischen Heeres (insbesondere im Russlandfeldzug) fand 1815 der Wiener Kongress statt. Gemäß dessen Beschlüssen übernahm das Königreich Preußen das Rheinland von Frankreich und wurde dadurch zu einer europäischen Großmacht. Die Gebiete westlich der Maas und dazu ein Streifen rechts des Flusses „in der Breite eines Kanonenschusses“ (also drei bis vier Kilometer) kamen zum Königreich der Niederlande.

Karte Deutscher Bund nach 1815

Als Königreich war Preußen war dem Adel verpflichtet und traf Maßnahmen zur Restauration der alten Verhältnisse. Die alten Adelsherrschaften wurden durch Wiedereinrichtung von Grafschaften und Herzogtümern restituiert.
Das französische Rheinland wurde bei der Übernahme aufgeteilt in die preußischen Provinzen 
Herzogtum Jülich-Kleve-Berg mit Sitz in Köln und 
Großherzogtum Niederrhein mit Sitz in Koblenz.

Eine der ersten Maßnahmen des preußischen Königsreichs war die Anordnung der allgemeinen Wehrpflicht – eine Kopie der französischen allgemeinen Mobilmachung.

Abweichend vom restlichen Preußen blieben im Rheinland französische Sonderregelungen erhalten wie z.B. die Gemeindeverfassung und das auf dem Code Civil basierende Rechtssystem („Rheinisches Recht“), das auch der Handelswirtschaft klare rechtliche Regelungen gab. Die von den Franzosen eingeführte Grundstruktur blieb erhalten, weil sie vom Bürgertum als effektiv und zeitgemäß erachtet wurde. So blieb auch das Gerichtswesen mit lokalen Friedensgerichten und regionalen Schwurgerichten unverändert erhalten.
            Mehr dazu:   →  Gerichtswesen

1822 wurde der gesamte rheinische Bereich zur preußischen Rheinprovinz zusammengefasst, Provinzverwaltungssitz war Koblenz.
    (UD) 

Die Karte zeigt die Gliederung der preußischen Rheinprovinz in fünf Regierungsbezirke.

Rheinland Regierungsbezirke

Die politische und kulturelle Eingliederung der Rheinprovinz in den Staat Preußen war eine große Herausforderung. Das Rheinland war, was Industrie und Handel betraf, weiter fortgeschritten als die übrigen, weitgehend agrarisch geprägten preußischen Provinzen. Entsprechend selbstbewusst war das rheinische Bürgertum, während im übrigen Preußen der Vorrang des Adels noch unumstritten war. Außerdem war die Rheinprovinz mehrheitlich katholisch, was ebenfalls zu Vorbehalten gegenüber der neuen Obrigkeit führte, denn die preußischen Stammlande waren mehrheitlich evangelisch.

KulturkampfIm Gegensatz zum eher liberalen Bürgertum war der politische Katholizismus ultrakonservativ. Er strebte nach Wiederherstellung der alten Ordnung und der Macht der Kirche, wie sie vor der napoleonischen Säkularisierung bestand. Die bürgerlichen Freiheitsrechte wurden zurückgedrängt. Der erneute Zugang zu den alten kirchlichen Finanzierungsquellen (Zehnt, Immobilien, Ländereien, Pfründe) wurde gefordert — teilweise mit Erfolg.

Die Auseinandersetzung gipfelte im sogenannten Kulturkampf, der in Preußen in aller Härte und Grundsätzlichkeit von 1870 bis 1878 ausgefochten wurde. Die Reichsregierung unter Reichskanzler Bismarck brach die diplomatischen Beziehungen zum Vatikanstaat ab. Im ganzen Reich wurde – wie im Rheinland schon seit Napoleons Zeiten – die Zivilehe alleinig rechtsgültig, eine kirchliche Trauung durfte erst anschließend an die standesamtliche Eheschließung stattfinden. Die Schulaufsicht wurde der Kirche entzogen und war fortan staatlich.

Die katholische Seite gründete eine Partei (das Zentrum) und wurde durch Papst Pius IX und die Kurie in Rom unterstützt. Aus der Zeit stammt auch das Unfehlbarkeits-Dogma der päpstlichen Verkündungen.

Papst Pius IX

Katholiken, die sich dem Unfehlbarkeits-Dogma widersetzten, wurden exkommuniziert. Ziel war eine allgemeine Verbindlichkeit katholischer Normen und damit die Einhaltung der kirchlichen Wertmaßstäbe vonseiten des Staates und der Gesellschaft. Staat und Kirche sollten unter dem Primat der Kirche zusammenwirken. Die Rekatholisierung der Welt war das Endziel.

1886/87 beendeten Bismarck und Papst offiziell den Konflikt. Einige der im Kulturkampf erlassenen Maßnahmen wurden durch „Friedensgesetze“ wieder abgemildert.        (UD) 

Ausführliches zum  Kulturkampf im Rheinland  findet man u.a. bei:
www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1871-bis-1918—das-rheinland-im-kaiserreich/DE-2086/lido/57ab2544cf0056.64047103?print=true


Von 1849 bis 1918 galt in Preußen ein Dreiklassenwahlrecht, das an die Höhe der Steuerzahlung gekoppelt war: wer viel Steuern zahlte, dessen Stimme galt mehr. 

Diese von König Friedrich Wilhelm IV erlassene Regelung teilt die Wähler nach der Höhe ihres direkten Steueraufkommens in drei Klassen.
Die erste Klasse König Friedrich Wilhelm IV von Preußenbilden Bürger mit besonders hohem Steueraufkommen, in der Regel Großgrundbesitzer, Adelige und Fabrikbesitzer.
Die zweite Klasse sind Bürger mit mittlerem Steueraufkommen, meist Kaufleute.
Alle übrigen bilden die dritte Klasse. Tatsächlich umfasst die dritte Klasse aber ca. 83% der wahlberechtigten Menschen, die erste Klasse der Großsteuerzahler nur vier Prozent der Wahlberechtigten.
Jede Wählerklasse darf gleich viele Abgeordnete entsenden. Die Abgeordneten werden indirekt, über Wahlmänner, gewählt. Jede Klasse bestimmt also ein Drittel der Wahlmänner in öffentlicher und mündlicher Abstimmung. Die Wahlmänner wiederum wählen die Abgeordneten gemeinsam und ebenfalls öffentlich.

Dank dieses Systems hat die Stimme eines Wählers der ersten Klasse ungefähr 17,5mal so viel Gewicht wie die Stimme eines Wählers der dritten Klasse. Außerdem kann das Wahlverhalten beeinflusst werden, weil die Wahl nicht geheim ist. Die Einteilung der Wahlkreise begünstigt die konservativen und dünn besiedelten Agrargebiete im Osten Preußens. Das aktive Wahlrecht steht nur Männern nach Vollendung des 24. Lebensjahres zu. Fürsorgeempfänger sind davon ausgenommen, sie haben ebenso wie die Frauen kein Wahlrecht.

In der preußischen Rheinprovinz wurde auf kommunaler Ebene schon seit 1845 das  Dreiklassenwahlrecht angewendet. In Essen führte das dazu, dass Alfred Krupp als größter Steuerzahler allein ein Drittel der Mitglieder des Stadtrates bestimmte.
         (UD) 

Ausführliches zum  Dreiklassenwahlrecht  findet man u.a. in:
      >  https://de.wikipedia.org/wiki/Dreiklassenwahlrecht   (am 19.5.2017)
      >  Josef Kahlau, Das Dreiklassenwahlrecht in der Gemeinde Lövenich,  in: 
               Heimatkalender der Erkelenzer Lande 1969, S. 154-158


Der Erste Weltkrieg endete 1918 mit der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches. Der Kaiser und die Landesfürsten wurden zur Abdankung gezwungen. Deutschland wurde Republik, eine Nationalversammlung arbeitete in Weimar eine Verfassung aus. Auch Frauen bekamen das Wahlrecht, das ihnen in allen früheren Zeiten verwehrt worden war.

Halbherzig war in der jungen deutschen Republik der Umgang mit dem Adel. Ihm blieben seine Besitztümer erhalten, Adlige waren sowohl im Parlament als auch im Militär, bei der Polizei und in allen staatlichen Verwaltungsorganen überproportional stark vertreten. Ein von den Arbeiterparteien bewirkter Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung aller Fürsten fand 1926 keine Mehrheit: von rund 40 Millionen Wahlberechtigten stimmten 15,5 Millionen dafür. Die katholischen, konservativen und nationalistischen Parteien waren strikt dagegen.

Auch weiterhin heirateten die Adligen meist untereinander und mauerten sich so in ihrem „Stand“ ein. Erhalten blieb dem Adel auch das privilegierte Recht zum Führen von Namenvorsätzen wie „von“, „von und zu“, Baron von“, Graf von“ usw. als rechtsgültige Namen. Diese Sonderrechte bestehen bis heute, auch das Grundgesetz hat sie nicht beseitigt.

1918 wurden das Ruhrgebiet und das westliche Rheinland durch französische, belgische, britische sowie amerikanische Truppen besetzt. Die letzten dieser Besatzungstruppen räumten das Rheinland 1930 und damit fünf Jahre eher als der Versailler Friedensvertrag vorgesehen hatte.
In diesem Friedensvertrag war 1919 die räumliche Aufteilung neu geregelt worden. Der südliche Teil der Provinz Rheinland wurde 1920 ausgegliedert und mit dem ehemals bayerisch-pfälzischen Gebiet des Saarpfalz-Kreises zum Saargebiet vereinigt. Das Saargebiet hatte von 1920 bis 1935 einen staatsrechtlichen Sonderstatus.
Außerdem verlor das Deutsche Reich (teilweise nach Volksabstimmungen) einige Randgebiete:
– Nordschleswig an Dänemark
– das Memelland an Litauen
– Westpreußen und einen Teil Oberschlesiens an Polen
– Elsass-Lothringen an Frankreich
– Eupen-Malmedy an Belgien
Territoriale Ergebnisse des Versailler Vertrages

 


Die relative Selbstständigkeit der Rheinprovinz und die Regierungsgewalt des Oberpräsidenten wurde mit dem sogenannten Preußenschlag von 1932 faktisch aufgehoben. Alle preußischen Angelegenheiten wurden fortan zentral in Berlin entschieden. Das erleichterte dem NS-Regime nach der Machtübernahme 1933 die energisch betriebene Gleichschaltung enorm. 

    (UD)    unter Verwendung von:   https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinprovinz  (am 7.4.2017)


Mehr dazu:

 →  Gemeindeverwaltung in napoleonischer und preußischer Zeit

Ausführliches zur  preußischen Geschichte  findet man u.a. bei:
www.preussenchronik.de/index_jsp.html


 

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