Spanische Kall

[span. calle = Straße, Gasse, Barrikade; altertümlich auch: Gießbach, Flutgraben, „torrente“ = nur bei starken Niederschlägen wasserführendes Bachbett] 

Der Name Spanische Kall erinnert an die jahrhundertelang existierende Grenze zwischen dem Herzogtum Geldern und dem Herzogtum Jülich.
Beeck gehörte zu Jülich, Wegberg gehörte großteils zu Geldern; das Herzogtum Geldern war von 1543 bis 1713/14 Teil der „Spanischen Niederlande“. Ein sehr kleiner Teil von Wegberg gehörte zur Herrschaft Tüschenbroich, die wie Beeck Jülicher Gebiet war.

Für die Beecker war das geldrische Wegberg damals „Ausland“. 

Hzt. Geldern Oberquartier 1614

Zwischen den Herzogtümern Geldern und Jülich gab es Grenzbefestigungen. Dafür nutzte man natürliche Hindernisse (ein Fluss, ein Bach, ein Wällert, ein Sumpf oder ein Bruchgebiet), denn die kosteten nichts. Wo es keine natürlichen Hindernisse gab, wurde eine Landwehr gebaut. Dazu gehörte die zwischen Dalheim-Rödgen und Merbeck quer über einen Geländerücken verlaufende mittelalterliche Landwehr des Herzogtums Jülich. 

Jülicher Landwehr

Landwehr im QuerschnittSolche im Mittelalter errichteten Landwehrsysteme hatten vorrangig den Zweck der territorialen Abgrenzung, sei es zwischen Fürstentümern, sei es zur Abgrenzung von Ackerland zu freiem Land (Allmende), sei es zur Einhegung von Land, Forsten oder Jagdgebieten eines Landesherrn, in dem niemand wildern sollte.
In weiterer Funktion sollten sie das unkontrollierte Wandern von Weidetieren und Vieh-Diebstahl sowie unerlaubte Grenzüberschreitungen verhindern. 

Die Landwehren bestanden aus einem oder mehreren Wällen mit jeweils vorgelagerten bzw. dazwischen liegenden Gräben. Die Wälle waren mit Dornenhecken bepflanzt und wurden so gepflegt, dass ein undurchdringliches stacheliges Dickicht entstand. Wo die Wallanlagen Siedlungen sicherten, waren die Dornenhecken häufig mit Holzpalisaden verstärkt.

Bauprinzip einer Landwehr
doppelter Wall, drei Gräben
Landwehr mit einem Wall
ein Wall, beiderseits ein Graben

Für Warentransport-Fahrzeuge (Karren, Fuhrwerke) waren diese Hindernisse nicht zu überwinden. sie konnten nur über die bewachten Grenzübergänge passieren, wo Zoll erhoben wurde. Einfache Übergänge, die nicht ständig bewacht waren, waren mit Schranken (Schlagbäumen) gesichert. Solche Durchlässe wurden Schlag oder May genannt. Der Name May hat sich bei Krefeld noch bis heute erhalten: Hückelsmay heißt eine Örtlichkeit beim Krefelder Stadtteil Forstwald. Dort gab es früher eine Landwehr mit Durchlass, und diese Stelle  war 1758 Schauplatz einer Schlacht im Siebenjährigen Krieg.  
   Näheres siehe bei    https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Krefeld  (am 8.11.2020)

Die Bauform der Landwehr kannte man vom Limes der Römer. 
Römischer Limes im Querschnitt

Mehr zum römischen Limes siehe bei    Grundherrschaft.

Umfangreiche Landwehrsysteme haben sich bis heute im Raum zwischen Venlo und Krickenbeck sowie im Mönchengladbach-Viersener Grenzgebiet erhalten und sind dort heute noch über große Abschnitte Stadtgrenze. Auch innerhalb von Mönchengladbach gibt es gut erhaltene Landwehrabschnitte an den Grenzen zwischen den früher selbstständigen Gebieten Wickrath, Rheydt und Gladbach. Viersen gehörte zum Herzogtum Geldern, Gladbach und Rheydt zum Herzogtum Jülich, während Wickrath eine reichsunmittelbare Baronie war. 

Der Überlieferung nach ist die Territorial-Landwehr zwischen den Herzogtümern Geldern und Jülich etwa 1420 entstanden. Sie ist Nachfolger eines noch älteren, nur noch in Abschnitten erkennbaren Erbenbuschwalles (möglicherweise war der Erbenbuschwall die Grenzmarkierung des Mühlgaues). 
     Informationen zu Landwehren und zum Mühlgau:    
          https://www.wikiwand.com/de/Landwehr
          https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BChlgau
          https://www.viersen.de/de/denkmal/wallgrenze-erbenbuschwald-suechteln-32/
          https://www.viersen.de/de/denkmal/suechtelner-landwehr-bereich-dornbusch-32a/
          https://www.viersen.de/de/denkmal/suechtelner-landwehr-erbenbuschwall-suechtelner-hoehen-32c/

          https://www.viersen.de/de/denkmal/suechtelner-landwehr-bereich-windberg-33b/
          Markus Westphal „Neue Erkenntnisse zu den so genannten Landwehren im Kreis Heinsberg“ in:
                     Heimatkalender des Kreises Heinsberg 2018 (Hg. Kreis Heinsberg) 


Auch in napoleonischer (1798-1815) und preußischer Zeit (1815-1870) bestand der gleiche Grenzverlauf wie im 15. Jahrhundert: Beeck endete im Westen kurz hinter der Freiheider Straße. Jenseits kam ein schmaler Streifen „Wegberg rechts der Schwalm“, der zur Bürgermeisterei Tüschenbroich gehörte, während „Wegberg links der Schwalm“ (und damit der damals größere Teil von Wegberg) eine eigenständige Bürgermeisterei war.

Wegberg 1810 mit Gemeindegrenzen
Wegberg und Beeck in der Tranchot-Karte (Gemeindegrenzen eingezeichnet von U.D.)

1820 wurden die beiden Wegberg-Teile vereinigt; dazu wurde die Bürgermeisterei Tüschenbroich aufgelöst und ihr Gebiet großenteils Wegberg zugeschlagen. So wurde das ehemals selbstständige Tüschenbroich zu einem Vorort von Wegberg.
1935 wurde Beeck nach Wegberg eingegliedert. Seitdem spielen die ehemaligen Gemeindegrenzen keine Rolle mehr.
[Kartenausschnitte zum Grenzverlauf siehe bei  Freiheider Straße.]
[Hintergründe zur Eingemeindung siehe im Menü  → Territorium: wer das Dorf regiert.]


Spanische KallHeute ist die Spanische Kall eine kleine Stichstraße zwischen der → Prämienstraße und dem Beeckbach.
Sie hat aber keine Verbindung zur originalen (historischen) Spanischen Kall, die nach Karten aus den 1800er Jahren auf der Großgerichhausener Seite verlief. Es gibt an der heutigen Straße „Spanische Kall“ keine Brücke über den Beeckbach in Richtung Großgerichhausen, und auch in historischen Karten ist dort kein Übergang erkennbar. 

Aus geschichtlichen Quellen ist die Lokalisierung der historischen Spanischen Kall nicht eindeutig.
Alte Karten legen zwei Möglichkeiten nahe, die beide auch im Blick auf die oben genannten Bedeutungen des spanischen Wortes calle einen Sinn ergeben: 
entweder  Straße/Weg  oder  Abflussrinne/Flutgraben.
Welche Deutung richtig ist, ist mangels weiterer schriftlicher Dokumente hier nicht zu entscheiden; für beide gibt es gute Argumente. In seinem Aufsatz „Neue Erkenntnisse zu den so genannten Landwehren im Kreis Heinsberg“ in: Heimatkalender des Kreises Heinsberg 2018 (Hg. Kreis Heinsberg), S. 25, favorisiert der Autor Markus Westphal die erstgenannte Deutung.

Deutungsmöglichkeit 1:   Straße
Diese Erklärung folgt der Eintragung Spansche Kall in der Tranchot-Karte von Spanische Kall ostwärtsAnfang des 19. Jahrhunderts. Sie weist auf den links des Beeckbaches (also im „spanischen“ Gebiet) verlaufenden Verbindungsweg zwischen Beeck und dem „Mühlenkreuz“ bei der Ophover Mühle. Heute ist dieser Weg noch als langer Feldweg mit sehr geradem Verlauf erkennbar. Spanische Kall westwärts

 

 

Wahrscheinlich geht dieser Wegverlauf auf eine römische Heerstraße und Handelsstraße zurück, die von Roermond nach Neuss führte. Stationen auf diesem Weg waren die heutigen Orte Arsbeck, Klinkum, Moorshoven, Mülfort und Glehn, an denen vermutlich schon römische Ansiedlungen bestanden.
Für Moorshoven und Mülfort sind römische Bauten archäologisch belegt.

Römerstraßen

In Klinkum heißt heute noch eine Straße Römerstraße.
Es gibt Hinweise darauf, dass sich in Wegberg Römerstraßen kreuzten: die Heerstraße Roermond—Melick—Arsbeck—Bischofshütte—Klinkum—Moorshoven—Mülfort—Glehn—Neuss mit der Heerstraße Jülich—Kaldenkirchen—Xanten (über Rickelrath).
Römerstraßen Karte

Auch für Merbeck wird eine Römerstraße vermutet, die von Erkelenz über Niederkrüchten und Brüggen nach Venlo geführt haben könnte. 

An den genannten Stationen bestanden vermutlich damals römische Ansiedlungen in Gestalt eines bäuerlichen Hofguts, villa rustica genannt. Kleinere Siedlungen am Rande der Römerstraßen wurden als vicus bezeichnet.

Neuss und Xanten waren bedeutende Stützpunkte des römischen Militärs mit großen Kastellen.

Römerstraßen bei Mülfort

Für Moorshoven und Mülfort sind römische Bauten archäologisch belegt.
Merbeck war – der Überlieferung nach – Raststation („mansio„) für durchfahrende Fuhrwerke. Solche Straßenstationen legten die Römer im Abstand von ca. 20 bis 30 Kilometern, also einer Tagesreise, entlang der Wege in den römischen Provinzen an. 

Die heutige Straße „Kahrbahn“ ist in der ersten systematischen Kartenaufnahme des französischen Geographen Tranchot (1806) als Heerstraße eingezeichnet. Sie verläuft möglicherweise auf einer alten Römerstraßen-Trasse. 

     (UD)   unter Verwendung von   http://www.npr-meinweg.eu/download/1/Meinweg1_D.pdf  (am 8.3.2018)

[weitere Details zu Römerstraßen siehe bei  Straßen]


Deutungsmöglichkeit 2:   Abflussgraben 
Diese Erklärung folgt der Eintragung in der „Hauptkarte der Bürgermeisterei Beek von 1826“, die den Uevekover Bach als Spanische Kall bezeichnet. Hingegen sind in der älteren Tranchot-Karte Bach und Kall an unterschiedlicher Stelle und im 90°-Winkel zueinander beschriftet, bezeichnen deshalb möglicherweise nicht dasselbe.
Hier die beiden Karten im Vergleich: 

Spansche Kall 1826 (Hauptkarte)
Kartenausschnitt von 1826, nach Norden ausgerichtet von U.D.
Spansche Kall 1810 (Tranchot)
Kartenausschnitt der Tranchot-Karte von 1801 ff

 

Tatsächlich war der Uevekover Bach (bei Tranchot: Üvenkofer Wällert)  im 19. Jh. die Grenze zwischen Beeck und Wegberg, ebenso wie er im Mittelalter die Grenze zwischen den Herzogtümern Jülich und Geldern war. Wällert oder Wellert ist eine alte Bezeichnung für einen Wassergraben oder Flutgraben. Solche Gräben dienen zur Entwässerung (Trockenlegung) ehemals sumpfiger Wiesen und zum Abführen von Niederschlagswasser nach Dauerregentagen und Starkregenfällen. 

Wallert und Uevekover Bach



 

Dieser Graben (siehe Foto) ist auf einem Teilstück noch von einem mit Büschen bewachsenen niedrigen Wall begleitet. Der Wall ist ein Überrest der Landwehr, die seit dem Mittelalter hier als Grenzbefestigung und Grenzmarkierung angelegt war. 

Landwehr Uevekoven-Gerichhausen-Beeck

In dieser Karte ist der Landwehr-Verlauf ergänzt worden. Beachtenswert ist, dass die Bezeichnung „Spanische Kall“ hier als Flurname der Äcker entlang der Landwehr auf Beecker Seite eingetragen ist.

Weitere Indizien für die Bedeutung Abflussgraben:
Im Beecker Platt ist Kall die Straßengosse. („Kehr’ens mol de Kall!“)
Mancherorts wird auch eine Dachrinne als Kall bezeichnet. 
In der Wassermühlentechnik ist Kall die (meist steinerne) Rinne, die das Wasser auf die Radschaufeln leitet.
Sprachlich ist das Wort mit „Kehle“ verwandt, technisch vorkommend etwa in Hohlkehlleiste oder Kehlbalken.

     (UD)


Nach dem Rentenverzeichnis von 1711 (Pfarrarchiv) gehörten 

– zu Geldern, Oberquartier Roermond:

der links der Schwalm und des Gerichhauser Baches gelegene Teil des Ortes Wegberg, Großgerichhausen, Uevekoven, Brunbeck und Broich, Watern, Klinkum, Harbeck und Hau, Rickelrath mit Holt- und Schrofmühle.

– zu Jülich, Amt Wassenberg, Unterherrschaft Herrlichkeit Tüschenbroich:   

der rechts der obengenannten Bäche gelegene Teil des Ortes Wegberg mit der Pfarrkirche, Dorp, Geneiken, Genfeld, Tüschenbroich mit Brühl und die unbewohnte Vogtei St. Petersholz.

Vollmer, Adolf, Geschichte der Gemeinde Wegberg, Cöln 1912, S. 19
auch:  http://wiki-de.genealogy.net/Geschichte_der_Gemeinde_Wegberg/E-Book   (am 14.4.2016)

Das links des Beecker Baches östlich von Wegberg gelegene Großgerichhausen gehört zur Gemeinde Wegberg, während das rechts dieses Baches gelegene Kleingerichhausen zur Gemeinde Beeck gehört.

Vollmer, Adolf, Geschichte der Gemeinde Wegberg, Cöln 1912, S. 108

Noch heute werden die im ehemaligen geldrischen Teile der Gemeinde Wohnenden von den Bewohnern des andern Teiles die Spanier genannt. Die einstigen Gegensätze zeigen sich auch heute noch bei Gelegenheit des Martinsfestes bei den Kindern, welche das für das Martinsfeuer zusammengeholte Holz für den ehemalig geldrischen und jülich’schen Teil Wegbergs getrennt aufstapeln und dann häufig erbitterte Kämpfe um dasselbe ausführen, wobei sie sich gegenseitig als Spanier und Jülicher bezeichnen.

Vollmer, Adolf, Geschichte der Gemeinde Wegberg, Cöln 1912, S. 21

Durch den Luneviller Frieden fiel Wegberg (Jülich) 1798 an Frankreich und es wurde dem Kanton Erkelenz im Roer-Departement zugeteilt, sodaß die Bäche in Wegberg auch in französischer Zeit wiederum die Grenze zwischen dem Roer- und dem Untermaas-Departement bildeten, bis nach den Befreiungskriegen durch den Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 die beiden Gemeinden Wegberg von Frankreich wieder losgelöst, infolge des Wiener Vertrages von 1815 an Preußen fielen und hiermit die verschiedenen Teile gemäß allerhöchstem Patent vom 5. April 1815 unter eine gemeinsame Staatshoheit (Preußen) kamen. Beide Gemeinden Wegberg wurden bei erfolgter Abgrenzung der Verwaltungsbezirke im Jahre 1816 der Provinz Großherzogtum Niederrhein, Kreis Erkelenz zugeteilt, welche Provinz später in der Rheinprovinz aufging.

Vollmer, Adolf, Geschichte der Gemeinde Wegberg, Cöln 1912, S. 22

 

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