Leineweberstraße

Die Leineweberstraße hieß vor ca. 1975 Gartenstraße.

Im 19. Jahrhundert verdienten viele Menschen mit dem Weben von Leinen aus Flachs in Heimarbeit ihren Lebensunterhalt. Daran erinnert dieser Straßenname. Zwischen 1830 und 1850 hatte die Hausweberei ihren Höhepunkt. Noch 1878 waren in Beeck 300 Weber mit 390 Webstühlen in Betrieb. Auch Frauen und Kinder mussten mit arbeiten. Die Arbeitstage waren lang: bis zu 16 Stunden täglich. Der „Lohn“ hingegen war gering.
Unter diesen Umständen war die Lebenserwartung niedrig: die meisten Weber starben zwischen ihrem 30. und 40. Lebensjahr.

Die Hausweber arbeiteten in ihrer Wohnstube. Formal waren sie selbstständige Kleinunternehmer. Sie arbeiteten in einem sogenannten Verlagssystem. Ihnen gehörte der Webstuhl, aber die Rohstoffe und die Produkte gehörten nicht ihnen, sondern ihrem Verleger. 

Hausweberei um 1850

Die Aufträge zur Herstellung von Webwaren erhielten die Hausweber von Fabrikanten bzw. Groß-Unternehmern. Diese Auftraggeber (Verleger) bestellten eine bestimmte Stückzahl der gewünschten Waren und lieferten die dafür nötigen Rohstoffe. War die Ware fertig, musste sie beim Fabrikanten abgeliefert werden. Die Bezahlung erfolgte nicht nach dem erforderlichen Zeitaufwand, sondern nach dem vorher vereinbarten Preis. Gefielen die hergestellten Webwaren dem Verleger nicht, gab es kein Geld.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts investierten in Wegberg und Beeck einige reichere Bauern und auch Kaufleute, angeregt durch die frühe Industrialisierung in England, in einfache Maschinen zur Flachsverarbeitung. Es entstanden Flachs-Schwingereien,  Spinnereien und Kämmereien, in denen die Brech-, Schwing- und Spinnmaschinen entweder durch Wassermühlen oder durch Dampfmaschinen angetrieben wurden. Diese Betriebe kauften von umliegenden Bauern die Flachsernte nach dem Rösten  auf, verarbeiteten die Halme und verkauften die Produkte mit Gewinn wieder an die Hausweber, die dann Tuch daraus webten. Durch die Mechanisierung wurden viele arbeits- und zeitintensive Verarbeitungsschritte eingespart. 

Schon nach wenigen Jahrzehnten wurden diese kleinen mechanisierten Manufakturen von der fabrikmäßigen Industrialisierung abgelöst. Flachs wurde immer weniger auf den örtlichen Feldern angebaut, weil der Import von Baumwolle billiger war. Kattun löste das Leinen als Textilprodukt für Kleidung weitgehend ab, nur für Bettwäsche und Trockentücher wurde noch Leinen gefertigt.

In Beeck wie in der ganzen Region hatte der Flachsanbau eine lange Tradition (→ Flachsstraße ).
Schon seit dem 10. Jahrhundert ist der Flachsanbau hier nachgewiesen.

Mittelalter-KleidungIm Mittelalter und in der frühen Neuzeit stellte die Landbevölkerung ihre Kleidung meist selber her. Schafwolle, Nesselfasern und Flachsfasern waren die Rohmaterialien für die Textilherstellung. Sie wurden durch entsprechende Tierhaltung und Ackerbau im Dorf produziert und auch in den Bauernfamilien selber verarbeitet.

Die daraus hergestellte Kleidung hatte „Naturfarbe“, war also überwiegend in Beige-, Grau-, Braun- und Gelbtönen. Farbige Kleidung herzustellen war aufwendig, also teuer, hatte keinen Nutzwert und kam deshalb für die einfache Landbevölkerung im Alltagsleben nicht infrage.

TrachtEtwa seit dem 16. Jahrhundert bildete sich in der bäuerlichen Bevölkerung der Brauch, an Festtagen und sonntags besondere Kleidung zu tragen.

So entstanden Festtagstrachten, die mitunter (je nach Reichtum der Familie) auch bunt und mit Knöpfen oder Verzierungen aus Gold oder Silber sein konnten. 

Im Beecker Museum für europäische Volkstrachten sind vielerlei alte Trachten ausgestellt und erläutert. Ein Besuch lohnt sich. 

 


Leinenherstellung

Damit man Leinen weben kann, müssen zuerst die Fasern rein gewonnen werden. Das geschieht beim Flachs durch mehrere Verfahrensschritte.
Eine ganz genaue Beschreibung findet man z.B. bei: 
http://www.r-steger.de/Flachsverarbeitungsschritte.htm   (gesehen am 22.10.2020)

Raufen 
   (das ist die Ernte: die Flachshalme werden aus der Erde gerupft)
– Riffeln
   (die Samenkapseln mit den Leinsamen werden von den Halmen getrennt)
Darren
   (die gerauften Halme werden gebündelt und in Garben auf dem Feld getrocknet)
Rösten
   (weiche Pflanzenbestandteile werden mit Wasser in Rottekuhlen verrottet)
Trocknen
   (nach der Rotte werden die nassen Halmbündel auf dem Feld getrocknet)
Brechen und Schwingen
   (die harten holzigen Außenhüllen der Halme werden mechanisch zertrümmert)
Hecheln
   (die holzigen Bruchstücke werden aus den Langfasern ausgekämmt)

Danach müssen die einigermaßen parallelisierten Fasern zu einem zugfesten Faden bzw. Garn verdrillt werden. Diesen Vorgang nennt man Spinnen.

Spinnerin

Für besonders reißfestes Garn können anschließend noch mehrere (meist drei) Spinnfäden miteinander verdrillt werden. Das nennt man Zwirnen

Durch Weben kann dann aus dem gesponnenen und auf Spulen gewickelten Leinengarn auf einem Webstuhl Leinentuch hergestellt werden.

Weber am Webstuhl

Flachsfasern und das daraus hergestellte Leinen sind von Natur aus gelblich-hellbeige.
Durch Bleichen in der Sommersonne kann es fast weiß werden. Auf diese Art behandeltes Leinen wurde gewöhnlich zu Bettwäsche, Unterwäsche oder Tischtüchern weiterverarbeitet.

Färberwaid-PflanzeBlaudruck-LeinenFarbiges Leinen wurde früher meist in der Farbe blau erzeugt.

Zum Färben benutzte man die Blätter des Färberwaid, die in speziellen Mühlen (Waidmühlen) zerquetscht und als Blattmus getrocknet wurden.

Der Färberwaid ist eine gelb blühende zweijährige Pflanze, die landwirtschaftlich angebaut wurde. Je nach Witterung sind bis zu vier Ernten im Jahr möglich. 

Die mit Färberwaid erzielbare Färbung ist nicht besonders lichtecht, sie bleicht am Licht im Laufe der Zeit aus.

Weitere zum Färben von Leinen geeignete Pflanzenextrakte gewann man aus
Wau (Reseda): Gelbgrünfärbung 
Tagetes: Gelborangefärbung
Krapp: Rotfärbung. 
Indigo-Pflanze

Ein teurerer, auch blau färbender Naturfarbstoff ist Indigo. Die Indigopflanze enthält bis zu dreißigmal so viel Indigo wie der Färberwaid. Allerdings muss Indigo aufwendig aus Südasien importiert werden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte die Erfindung lichtbeständiger synthetischer Farbstoffe auf Anilin-Basis den Färberwaid, Tagetes, Krapp und Natur-Indigo überflüssig. 

Färber

 

Sowohl mit synthetischen als auch mit Naturfarbstoffen ist das Textilfärben ein langwieriger mehrschrittiger Prozess mit hohem Energie- und Wasserverbrauch.
Die traditionelle Färberarbeit war Schwerarbeit.


   (UD)        Genaueres zum Waid:    https://de.wikipedia.org/wiki/Färberwaid   (gesehen am 14.3.2018)


Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Textilherstellung industrialisiert (→ Industriestraße und → An der Spinnerei). Der dadurch eintretende Preisverfall machte die häuslichen Leineweber arbeits- und brotlos.
Auch dem bäuerlichen Flachsanbau machte der Import von billiger (weil durch Sklavenarbeit geernteter) Baumwolle den Garaus.
Viele, die in der Textilindustrie oder anderswo keine Arbeit mehr finden konnten, sahen sich zur Auswanderung gezwungen, überwiegend nach Amerika.

Zum Thema Auswanderung siehe auch:
Bevölkerung  und  → Eisenbahn .

    (UD)


Leinen hat auch Dichter schon bewegt:  

Die Weber - Plakat

 

⬅ [zurück zur vorigen Straße]          [vor zur nächsten Straße] ➡  

⬅⬅ [ ganz zurück zur Straßennamensliste ]